11. Suchtforum in Bayern
Bei Sucht und Drogenmissbrauch denken die meisten Menschen an Junkies, jugendliche Komatrinker, koksende Promis oder obdachlose Alkoholiker. Dagegen werden Ältere, die unauffällig, angepasst und gewohnheitsmäßig trinken und/oder Psychopharmaka einnehmen, kaum wahrgenommen. Insbesondere die Sucht älterer Menschen, die meist hinter verschlossenen Türen im Verborgenen stattfindet, wird häufig übersehen. Diesem Problemkreis widmet sich das 11. Suchtforum in Vorträgen und Diskussionen, organisiert von der Bayerischen Landesärztekammer (BLÄK), der Bayerischen Landesapothekerkammer (BLAK), der Bayerischen Landeskammer der Psychologischen Psychotherapeuten und der Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten (PTK Bayern) und der Bayerischen Akademie für Sucht- und Gesundheitsfragen (BAS).
Dr. Marcel Huber, Staatsminister für Gesundheit, betonte in seinem Grußwort: "Suchtprobleme bei älteren Menschen bleiben oftmals verborgen. Sucht im Alter kann jedoch erfolgreich behandelt werden, die Erfolgschancen stehen gut. Wir müssen älteren Menschen Mut machen, die bestehenden, umfangreichen Hilfsangebote in Anspruch zu nehmen. Ziel ist, die Lebensfreude und Lebensqualität auch im Alter zu erhalten." Der Freistaat fördert Maßnahmen der Suchtvorbeugung und Suchthilfe mit einer Summe von rund sieben Millionen Euro jährlich.
„Die demografische Entwicklung und das Eintreten von gravierenden Lebensveränderungen sind die Hauptgründe, warum das Thema Sucht im Alter an Bedeutung gewinnt“, erklärte Dr. Heidemarie Lux, Vizepräsidentin und Suchtbeauftragte des Vorstandes der Bayerischen Landesärztekammer (BLÄK). Bedeutende Lebensveränderungen im Alter können einen Menschen aus der Bahn werfen und ein Auslöser für Suchterkrankungen sein. Zum Beispiel das Ausscheiden aus dem Berufsleben, Todesfälle im Bekannten- und Freundeskreis, das eigene Altern oder der Umzug in ein Altersheim. „Besonders wir Ärztinnen und Ärzte sollten auf solche Signale bei älteren Patienten achten und gezielt danach fragen“, betonte Lux. Verschärfend komme hinzu, dass Suchterkrankungen älterer Menschen teilweise schlecht zu diagnostizieren sind. Die sogenannte „sprechende Medizin“ übernehme hier eine besonders wichtige Rolle.
Prof. Dr. Dr. Dr. Felix Tretter, Vorstand der Bayerischen Akademie für Sucht- und Gesundheitsfragen (BAS), wies darauf hin, dass suchtbedingte Störungen bei älteren Menschen immer noch viel zu selten wahrgenommen werden. „Suchtbedingte Störungen bestehen oftmals lange Zeit im Verborgenen oder werden von Menschen im Umfeld der Betroffenen stillschweigend hingenommen. Aber auch im professionellen Bereich der Gesundheitsberufe ist die Thematik bislang zu wenig verankert“, erklärte Tretter. Dabei handle es sich keinesfalls um ein Problem von Randgruppen: In Deutschland rauchen mehr als zwei Millionen ältere Frauen und Männer, bis zu 400.000 sind von einem Alkoholproblem betroffen und bei über einer Million Menschen weist der Gebrauch psychoaktiver Medikamente zumindest Gewohnheitscharakter auf. Für ältere Suchtkranke seien bereits spezielle Versorgungsstrukturen erforderlich, wie betreutes Wohnen, Wohngemeinschaften oder auch Altenheime, in denen auch die Substitutionsbehandlung erfolgen könne.
„Viele Betroffene sind sich ihrer Abhängigkeit nicht bewusst“, betonte Ulrich Koczian, Vizepräsident der Bayerischen Landesapothekerkammer (BLAK). Im Alter nehmen die Menschen mehr Medikamente ein. So sind etwa ein Drittel aller Wiederholungsverordnungen der Benzodiazepine für Menschen über 70 Jahre. Aber: Selbst gut ausgebildete Menschen wissen oftmals nicht, dass sie Medikamente mit einem Abhängigkeitspotenzial einnehmen. Die Rezeptpflicht sei deshalb keine Schikane, sondern ein notwendiger Kontrollmechanismus. „Auch rezeptfreie Medikamente sind keine Bonbons! Denn Medikamentensucht ist nicht auf rezeptpflichtige Präparate beschränkt. Die fachkundige Beratung durch eine Apothekerin oder einen Apotheker ist wichtig und dient dem Patientenschutz“, erklärte Koczian. Apotheken stünden mit einem flächendeckenden Angebot auch als niedrigschwellige Anlaufstelle für die Patienten zur Verfügung und bieten soziale Begleitung und die Vermittlung von Beratungsstellen und Selbsthilfegruppen.
Dr. Heiner Vogel, Vorstandsmitglied der Bayerischen Landeskammer der Psychologischen Psychotherapeuten und der Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten (PTK), wies darauf hin, dass es sich lohne zu helfen: „Ältere Menschen profitieren von Beratung und Therapie ebenso wie jüngere“. Gelinge eine Verhaltensänderung, werde nicht nur eine rasche Verbesserung bei körperlichen Symptomen erreicht, sondern es werde auch die psychische Belastung reduziert und die Lebensqualität und Lebensfreude steige. „Der psychotherapeutische Zugang muss besonders berücksichtigen, dass Sucht und Abhängigkeit bei älteren Menschen häufig eine deutlich stärkere biografische Verflechtung aufweisen und dass weitere persönliche Themen beziehungsweise Belastungen von herausragender Bedeutung für die Betroffenen sind, die notwendigerweise mitzubehandeln sind“, betonte Vogel.
Das Suchtforum
Das Suchtforum, bei dem auch in diesem Jahr wieder zirka 500 Ärzte, Apotheker, Psychotherapeuten, Mitarbeiter von Suchthilfeeinrichtungen und Angehörige anderer Berufsgruppen (Lehrer, Polizisten) die Chance nutzen, sich fortzubilden, findet am 18. April 2012 im Klinikum rechts der Isar in München statt.